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Roger Nordmann

Conseiller national

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NZZ 21.5.2015

Volle Fassung des NZZ Beitrages

Weshalb die Energiewende eine grosse Chance für unsere Wirtschaft ist

Seit der Aufhebung des Euromindestkurses durch die Nationalbank gehört es zum guten Ton, die Abkehr von der Energiestrategie 2050 zu predigen. Doch was wären die wirtschaftlichen Folgen?

Mit Ausnahme der Nahrungsmittel konsumieren wir Energie nicht direkt, sondern indirekt in Produkten, für die Mobilität oder als Wärme. Energie ist also ein Produktionsfaktor. 2013 betrug die Energierechnung der Schweiz total CHF 33 Mia. – davon CHF 10 Mia. allein für den Strom. Fossile Energien, hauptsächlich Öl und Erdgas, schlugen mit insgesamt CHF 22 Mia. zu Buche. Das zeigt, wie berechtigt die Absicht des Bundesrates ist, die Energieeffizienz zu erhöhen, um die fossile Abhängigkeit unseres Landes zu senken. Von den erwähnten CHF 33 Mia. machen die Mehrwertsteuer CHF 3 Mia. und die Treibstoffabgabe CHF 5 Mia. aus. Netto beläuft sich die Energierechnung also auf rund CHF 25 Mia., was etwa 4% des BIP entspricht.

Eine Absage an die Energiestrategie käme dem Verzicht auf zwei wichtige Hebel gleich. Zum einen würde die Verminderung des Öl- und Gasverbrauchs in den Gebäuden wie auch bei der Mobilität nicht mehr vorangetrieben. Die Importe fossiler Energieträger blieben tendenziell im gleichen Umfang bestehen.

Zweitens – und das interessiert die Gegner der Energiestrategie 2050 am meisten – würde der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung nicht mehr gefördert. Doch könnten wir dadurch zur bisherigen Versorgungsstrategie zurückkehren? Ganz klar nein. Da sämtliche AKWs in der Schweiz die Hälfte ihrer Betriebsdauer überschritten haben, zeichnet sich deren Schliessung schon heute ab. Mühleberg wird 2019 vom Netz genommen. Bei den anderen ist der Zeitpunkt noch offen, doch aufgrund der Risiken, die von veralteten AKWs ausgehen, ist es unwahrscheinlich, dass sie über 2035 oder 2040 hinaus betrieben werden. Um den heutigen Stand der Atomstromproduktion aufrechtzuerhalten, müssten die alten AKWs durch den Bau neuer ersetzt werden. Nun ist dies aber ungeachtet der politischen Akzeptanz aus wirtschaftlichen Gründen praktisch nicht machbar. Der Bund müsste das Projekt zu zwei Dritteln finanzieren, wie aus dem Beispiel England hervorgeht. Dort übernimmt der Staat nicht nur die Kreditgarantie, sondern sichert auch während 35 Jahren die Abnahme des Atomstroms zu einem wesentlich höheren Tarif als dem Marktpreis zu. Eingebaut wurde zudem ein Teuerungsausgleich. Die Kosten pro kWh sind höher als diejenigen von Wind- und Sonnenenergie! Ohne diese massive Beihilfen hätte David Cameron keinen Investor für das Reaktorprojekt Hinkley Point gefunden. Betrachtet man die gesundheitlichen und ökologischen Risiken sowie das ungelöste Abfallproblem und dessen Folgekosten, erscheint eine solche Strategie wenig vernünftig.

Eine Abkehr von der Energiestrategie 2050 führt viel eher zu mehr Stromimporten als Ersatz für die heutige nukleare Produktion. Von allen Gegnern der Energiestrategie ist nur der Think-Tank Avenir Suisse so ehrlich, dies offen als Zielsetzung zu deklarieren. Das Argument ist einfach: Import sei billiger als Inlandproduktion. In seiner Berechnung vergleicht Avenir Suisse die heutigen Kosten des in Deutschland mit US-amerikanischer Kohle erzeugten Stroms (4 Rp./kWh) mit denjenigen einer neu errichteten Wasserkraftanlage in der Schweiz zu 14 Rp./kWh oder einer neuen Solaranlage zu 17 Rp./kWh. Doch geht diese Rechnung auf? Aufgrund der früher oder später eintretenden Verknappung der fossilen Energieträger und des zwingend notwendigen Klimaschutzes bleibt diese Strategie heikel. Die Schweiz hängt bereits heute zu 70% von fossilen Energiequellen ab. Ist es sinnvoll, diese Abhängigkeit noch zu steigern – und zwar in einem strategisch so wichtigen Bereich wie der Stromversorgung? Ich bezweifle es.

Unsere Vorgänger haben es uns richtig vorgemacht. Sie haben Wasserkraftanlagen gebaut, um erneuerbare inländische Energiequellen zu erschliessen. Es erforderte sicher ein grösseres Startkapital als für Kohleimporte per Bahn. Doch der Entscheid hat sich als sehr weitsichtig erwiesen. Diese Strategie gilt es fortzuführen, denn sie hat den wichtigen Vorteil, dass sie auf Primärenergie setzt, die gratis vorhanden ist. Wasser, Wind, Sonne und Erdwärme sind in der Schweiz kostenlos – sie müssen nur geerntet werden, ohne dass es dafür vorgängig Erdöl, Erdgas, Kohle oder Uran aus dem Ausland braucht.

Die Energiestrategie des Bundesrats folgt dieser Tradition. Sie sieht eine schrittweise Erhöhung der Abgabe zur Finanzierung der erneuerbaren Stromproduktionsanlagen vor. Diese soll von 1.1 Rp./kWh im 2015 auf ein gesetzliches Maximum von 2.3 Rp./kWh ansteigen. Damit werden jährlich höchstens CHF 700 Mio. verfügbar. Daraus resultiert also eine Erhöhung um 7% der Stromrechnung, welche sich heute einschliesslich Netzkosten und Steuern auf CHF 10 Mia. beläuft. Damit lassen sich bis 2035 etwa 60% des Atomstroms ersetzen (vorbehältlich einiger Unsicherheitsfaktoren, hauptsächlich darüber, wie rasch die Kosten der Solarenergie sinken). Im 2025 müssen wir dann eine Standortbestimmung vornehmen und entscheiden, mit welchem Instrument der Ausbau weitergeführt werden soll. Dabei muss die Entwicklung des Strombedarfs berücksichtigt werden, der seit 2010 glücklicherweise stabil geblieben ist.

Gegenüber der Importstrategie von Avenir Suisse bringt der bundesrätliche Ansatz zwei wesentliche Vorteile:

1) Die Schweiz bleibt mit ihrer Stromversorgung strukturell unabhängig.

2) Die Ausgaben für Strom fliessen hauptsächlich in inländische Investitionen und Betrieb zurück, statt in die Bezahlung von Importrechnungen.

Was auch immer Politik und Volk beschliessen: Die Erneuerung des Hochspannungsnetzes steht an, denn es ist durchschnittlich 40 Jahre alt! Aber auch hier ist die Energiestrategie intelligent: Die Bemühungen zur Stabilisierung des Stromverbrauchs helfen, die Kosten für das Hochspannungsnetz im Griff zu behalten. Das heutige Netz verkraftet einen Stromverbrauch von rund 60 TWh, während es für einen Landesverbrauch von 85 TWh massiv ausgebaut werden müsste.

Die CHF 700 Mio. zur Finanzierung unserer neuen Stromproduktion machen lediglich 1‰ des Schweizer BIP aus; zudem erfolgt die Erhöhung über mehrere Jahre verteilt. Der Konjunktureffekt ist im Vergleich zu anderen Schocks praktisch nicht spürbar, etwa gegenüber einer Preisschwankung von $ 20 pro Barrel, die für unser Land einen makroökonomischen Schock in Höhe von CHF 2 Mia. bedeutet und manchmal innert weniger Monate eintritt.

Das Argument, diese Förderung sei marktverzerrend, greift zu kurz: Der heutige Strommarkt ist aufgrund der ungedeckten Kosten der fossilen und atomaren Stromproduktion bereits massiv verzerrt. Zudem sind Wind- und Solarkraftwerke mit ihren tiefen Betriebskosten im heutigen Markt kaum finanzierbar. Erst wenn diese Spielregeln geändert sind, kann auf eine Förderung verzichtet werden.

Aus struktureller Sicht ist die bundesrätliche Strategie robuster als das von Avenir Suisse angestrebte Szenario mit Stromimporten. Die Strategie der Atomlobby, alte AKWs möglichst lange zu betreiben, ist nur ein Spielen auf Zeit, das sowohl für die Bevölkerung als auch für die Versorgung riskant wäre. Dieses Szenario ist lediglich eine Aufschiebung des Problems, deren letzter Akt – der Bau neuer AKWs – weder ökonomisch sinnvoll noch wünschenswert oder realistisch ist. Die traurige Fortsetzungsgeschichte eines versuchten Reaktorbaus im französischen Flamanville zeigt, dass dieser Weg in eine Sackgasse führt.

Schliesslich möchte ich auf die kurzfristigen Konjunkturfolgen der Energiestrategie eingehen. Vorläufig hat die Energiestrategie keinerlei Wirkung auf die Konjunktur, da die Massnahmen noch nicht in Kraft sind. Im Fall einer Annahme durch das Volk treten sie voraussichtlich 2018 in Kraft und beginnen ab diesem Zeitpunkt Wirkung zu zeigen. In Zeiten guter Konjunktur wird sich niemand Sorgen machen. Bei ungünstiger Konjunkturlage werden sich die Wirtschaftsakteure dagegen über eine Politik freuen, die Investitionen im Inland auslöst und die Modernisierung der Stromproduktion sowie die Sanierung des Gebäudeparks ermöglicht. Dies fördert die Schweizer Wirtschaft – im Gegensatz zu Ausgaben für Ölbarrels und für deutschen Strom aus amerikanischer Kohle.

 

 

 

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