13. Nationale
Photovoltaik-Tagung
16.-17. März
2015, Congress Center Basel
Chaotische
oder gesteuerte Energiewende?
Nationalrat
Roger Nordmann, Präsident Swissolar
Beginn
eines neuen Zeitalters
Wir
erleben zurzeit das Ende eines Zeitalters und den Beginn einer neuen
Epoche. Es handelt sich dabei um einen grundlegenden Wandel im
Bereich der Technologien und der Wirtschaftsmodelle. Politische
Entscheide haben dazu beigetragen, waren aber nicht die wichtigsten
Einflussfaktoren. Heute möchte ich Ihnen zeigen, dass wir diese
Entwicklung entweder rationell steuern oder chaotisch durchmachen können.
Vermeiden können wir sie jedoch nicht.
Zunächst
schauen wir uns an, woraus dieser grundlegende Wandel besteht.
1.
Schwaches
Wirtschaftswachstum in Europa
Sehr
wahrscheinlich wird es in Europa kein grosses Wachstum mehr geben
– und zwar aus drei Gründen: 1. Die Bevölkerung wird immer älter,
sodass ein Mangel an Arbeitskräften entsteht. 2. Europa hat
weltweit eine technologische Spitzenposition. Das heisst, das
Wachstum kann nicht durch Nachahmung erfolgen. Es hängt vor allem
vom technischen Fortschritt und von der Bildung, also langsamen
Wachstumsfaktoren ab. 3. Der weltweite Wettstreit um Energie und natürliche
Ressourcen verschärft sich.
Natürlich
hat diese Situation grosse sozioökonomische Probleme zur Folge, die
jedoch nicht Gegenstand dieser Tagung sind. Vor allem aber bewirkt
sie auch eine Senkung des Energieverbrauchs: Bei einem
Wirtschaftswachstum nahe bei null steigt die Energieeffizienz der
europäischen Wirtschaft Jahr für Jahr. Das ist eine positive
Entwicklung für die Umwelt, vor allem dann, wenn sie mit einer
Abnahme der fossilen Energieträger verbunden ist. Bei der
Stromnachfrage, die uns anlässlich einer PV-Tagung interessiert,
zeichnen sich zwei gegensätzliche Trends ab: Einerseits bewirkt die
gesteigerte Energieeffizienz eine Senkung des Stromverbrauchs. Doch
die ausserordentliche Effizienz des Stroms als Energieform hat zur
Folge, dass sich dessen Verbrauch immer mehr auf zusätzliche
Bereiche ausdehnt, etwa die individuelle Mobilität. Ich bin der
Meinung, dass diese beiden Auswirkungen sich gegenseitig aufheben
werden und dass so der
Stromverbrauch strukturell ziemlich stabil bleiben wird. Das ist
eine grundlegende Veränderung, wenn man bedenkt, dass unser
Kraftwerkpark und unsere Verteilinfrastruktur zu einer Zeit
steigender Nachfrage errichtet wurden. Dabei ist die Entwicklung in
Europa massgebend, denn seit Kriegsende sind die Schweizer
Grossverteiler im europäischen Strommarkt verankert – dank der
kontinentalen Kupferplatte.
2.
Strom:
von der Extraktions- zur Erntelogik
Die
Stromproduktion verändert sich rasch von
der Extraktions- zur Erntelogik. Lassen Sie mich das erklären:
Der Grossteil der weltweiten Stromproduktion hängt zurzeit noch von
fossilen Energieträgern ab. Diese müssen extrahiert, transportiert
und verbrannt werden. Neben den offensichtlichen ökologischen
Nachteilen hat diese Produktionsart zur Folge, dass für jede
produzierte Kilowattstunde vorgängig zwei, drei oder vier
Kilowattstunden eingekauft werden müssen. In dieser alten Welt
verursacht also jede zusätzlich erzeugte Kilowattstunde hohe
Mehrkosten. Das sind die von Ökonomen erwähnten
Grenzkosten. Je höher die Nachfrage, desto mehr Kraftwerke mit
hohen Grenzkosten werden zugeschaltet, da der Verkaufspreis in der
Lage ist, diese Kosten abzudecken. Das ist der sogenannte
„Merit-Order-Effekt“. Auf dem Markt – und zumindest für
Grossverteiler ist der Strom seit Jahrzehnten ein Markt – sorgt
dies automatisch für das erwünschte Gleichgewicht: Bei ungenügender
Stromerzeugung steigt der Preis, wodurch weitere Anlagen
zugeschaltet werden können. Als weiterer positiver Nebeneffekt ermöglicht
der hohe Strompreis auch allen anderen Stromerzeugern, ihre
Investitionen zu amortisieren, und fördert dadurch die Investition
in neue Kraftwerke. So bleibt langfristig das Gleichgewicht
erhalten. Zudem gewährleistet ein Verteilmonopol auch den Verkauf
und senkt das Geschäftsrisiko auf Null.
Das war die Extraktionslogik.
Doch
die zwei wichtigsten neuen Stromerzeugungstechnologien (Sonne und
Wind) haben eine ganz andere Kostenstruktur. Die Erstinvestition für
den Bau stellt den Hauptbestandteil der Kosten dar. Es gibt jedoch
praktisch keine Grenzkosten, abgesehen von fixen Unterhaltskosten.
Eine zusätzliche Kilowattstunde zu produzieren kostet mit einer
Photovoltaik- oder Windkraftanlage nichts, da die Maschinen die
kostenlose Primärenergie des Windes oder der Sonne ernten. Mit
unserer traditionellen schweizerischen Sichtweise können wir kaum
begreifen, dass dies eine grundlegende Umwälzung ist, denn unsere
gute alte Wasserkraft funktioniert seit jeher nach dieser modernen
Logik. Wir waren Exoten, und werden nun zur Norm.
Der kontinentale Wechsel zu einer Energiegewinnungslogik ohne
Grenzkosten bringt das Gleichgewicht vollkommen durcheinander. Diese
Stromerzeugungsart wird immer häufiger einen sehr tiefen Strompreis
vorschreiben. Vertreter der altbekannten Stromdinosaurier werden die
erneuerbaren Energien bis zum letzten Atemzug bekämpfen.
Das
spielt jedoch keine Rolle, denn künftig wird es einfacher und günstiger
sein, auf diese Energien zu setzen statt neue, herkömmliche Anlagen
zu bauen. Diese laufen nämlich Gefahr, immer mehr vom Markt verdrängt
zu werden, weil der Strompreis unter den Grenzkosten bleiben wird:
ein Alptraum für jeden Investor.
3.
Dezentrale Stromspeicher
Die
dritte Umwälzung ist die dezentrale Stromspeicherung. Dank der
raschen Entwicklung bei der Unterhaltungselektronik und beim
Elektrofahrzeug machen elektrochemische Batterien rasante
Fortschritte im Bereich Energieeffizienz, Energieleistung und
Kosten. Wirtschaftlich gesehen wird die dezentrale Stromspeicherung für immer
mehr Standorte auf der Welt stetig attraktiver. Dabei stehen wir
wahrscheinlich erst am Anfang dieser Entwicklung. Bereits gibt es
Speicherprojekte mit Druckluft, die eine Effizienz von 70%
aufweisen. Je tiefer die Gestehungskosten von Solarstrom unter den
Endkundenpreis für Strom sinken (das heisst inklusive Gebühren und
Steuern), desto grösser wird der Handlungsspielraum für dezentrale
Stromspeicher. Dieser Trend lässt sich meiner Meinung nach nicht
aufhalten. Die Auswirkungen sind gewaltig: Dezentrale
Stromgewinnungsanlagen für erneuerbare Energien werden immer
rentabler. Auch könnten immer mehr Verbraucher sich vollständig
vom Stromnetz abkoppeln, wenn dessen Preisstruktur zu unattraktiv
wird. Die althergebrachte Monopolstellung des Stromnetzes fällt –
ein Phänomen, das wir auch bei der Telekommunikation gesehen haben,
als das Monopol der Kupferverkabelung von anderen Technologien
Konkurrenz bekam, etwa von der Koaxial-, Glasfaserverkabelungs- und
vor allem der GSM-Technik.
In
Ländern ohne nennenswerte Wasserkraftspeicherung stellt die
Weiterentwicklung der dezentralen Stromspeicher eine tödliche
Konkurrenz für bestimmte flexible Anlagen (Erdgas und einige
Kohlekraftwerke) dar: Dies wird den Wandel noch beschleunigen.
Weder
die Politik, noch der Willen der Hauptakteure aus der Branche haben
diesen drei Entwicklungen etwas entgegenzusetzen. Es handelt sich um
eine regelrechte industrielle Revolution. Im Gegensatz zur landläufigen
Meinung bleibt es nicht bei diesen Auswirkungen: Nicht nur die
Kohle- und Atomkraftwerke werden von Wind und Sonne verdrängt,
sondern auch das Netz selbst wird mit der Herausforderung einer
dezentralen Stromerzeugung und -speicherung konfrontiert.
Schliesst
man absurde Lösungen wie etwa eine Subventionierung fossiler
Energieträger oder ein Verbot für dezentrale Stromspeicher aus,
lassen sich für die zukünftige Entwicklung in der Schweiz folgende
Szenarien skizzieren:
·
Das
erste Szenario geht mit einer chaotischen Entwicklung der Branche
einher und einem Staat, der nicht in der Lage ist, diese Entwicklung
proaktiv zu steuern.
·
Das
zweite Szenario sieht einen Staat vor, der die Entwicklung der
Strombranche aktiv steuert und dadurch die Ereignisse im Griff hat.
Vergleichen
wir doch diese zwei Szenarien miteinander und beginnen mit dem
ersten.
Erstes
Szenario: chaotische Entwicklung der Strombranche
Dieses
Szenario beruht auf dem politischen Scheitern der Energiestrategie
2050. Doch daraus ergibt sich nicht unbedingt die Rückkehr zur herkömmlichen
Strategie. Der Bau eines AKWs wird aus wirtschaftlichen und
Akzeptanz-Gründen absolut unmöglich. In diesem Szenario entspricht
die Nutzungsdauer von Atomkraftwerken russischem Roulette: Eine zu
schwache behördliche Regulierung kann dazu führen, dass AKWs während
70 bis 80 Jahren in Betrieb bleiben, doch technische Störungen oder
wirtschaftliche Probleme könnten auch viel rascher zu deren
Abschaltung führen als heute vorhergesehen. Ohne Investitionshilfe
kann sich kein zentrales Stromproduktionsprojekt – Wasser- oder
Windkraft – entwickeln. Das äusserst tiefe Energiepreisniveau in
Europa stellt ein abschreckendes Hindernis dar. Die fehlende
Sicherheit bezüglich Preisen und Nachfrage verhindert grössere
Investitionen ins Stromnetz. Die Betreiber stecken bei
Energieerzeugung und -verkauf in einer finanziellen Klemme und führen
einen Zermürbungskrieg gegen die dezentralen Erneuerbaren. Konkret
versuchen sie, durch eine fixe Netznutzungsgebühr die
Wirtschaftlichkeit dezentraler Solaranlagen zu unterbinden. Dieser
Versuch wird aber durch die dezentrale Speicherstrategie vereitelt,
gefolgt von einer zunehmenden Abkoppelung aus dem Netz. Insgesamt
ist dieses Szenario wirtschaftlich völlig absurd: Die riesigen
Speicheranlagen und Pumpspeicherkraftwerke verlieren massiv an Wert
– und zwar genau dann, wenn ihre Nutzung so rationell wie nie wäre.
Das erinnert an das Schicksal der Print-Medien in der Ära der
Gratiszeitungen und des Internet: Die Kannibalisierung bedroht ihre
Existenz.
Dieses
Szenario ist recht typisch für die heutige moderne
Wirtschaftslogik: Statt die vorhandenen Anlagen zu nutzen (Netz und
Stauseen), über-investiert man stattdessen in einen neuen Bereich,
nämlich die dezentrale Speicherung.
Diese
Entwicklung ist zudem auch energetisch ein völliger Unsinn:
Zeitgleich laden die einen ihre Speicherbatterien auf und andere
entladen sie, anstatt den Strom verlustfrei über das Netz
auszutauschen.
Schliesslich
birgt dieses Drehbuch ein enormes Risiko für die
Versorgungssicherheit, denn die alten Produktionsanlagen zerfallen,
ohne erneuert zu werden. Es besteht die Gefahr, dass wir nach und
nach in eine ähnliche Situation geraten wie Megastädte der Dritten
Welt, mit Versorgungsunsicherheit und Stromunterbrüchen. Auf lange
Sicht könnten sich zwar die erneuerbaren Energien in Kombination
mit dezentraler Speicherung doch noch weiterentwickeln, aber der Weg
dahin wäre sehr beschwerlich.
Zweites
Szenario: politisch gesteuerte Entwicklung der Energiewende
Doch
die erwähnte chaotische Entwicklung ist nicht unabwendbar. Mithilfe
einer intelligenten Regulierung und Steuerung durch die Politik lässt
sich ein alternatives Szenario entwerfen:
1.
Alte
Kapazitäten werden schrittweise und geplant durch erneuerbare
Energieträger ersetzt.
2.
Das
Netz wird für den Austausch der Energie in Echtzeit genutzt und
sogar dafür ausgebaut,
anstatt dass Strom zu hohen Kosten und Verlusten gespeichert wird.
3.
Die
bereits erbauten Speicherkapazitäten werden bestmöglich genutzt für
eine erfolgreiche Übergangszeit und minimale Investitionen in
Speicherbatterien.
Dafür
muss man zur Einsicht kommen, dass die Stromerzeugung künftig ein
Geschäft mit tiefen Grenzkosten ist und dass mit den niedrigen
Preisen die Kapitalinvestition nicht mehr amortisiert bzw.
refinanziert werden kann.
·
Deshalb
muss zuerst ein Finanzierungssystem für die Fixkosten von
Investitionen in neue erneuerbare Kapazitäten geschaffen werden.
Auf gut Deutsch heisst das KEV oder ein analoges System,
beispielsweise ein Investitionsbeitrag. Noch besser wäre es, beide
parallel zu etablieren. Stromverbraucher müssen so die Fixkosten
mitfinanzieren, etwa durch eine Abgabe pro Kilowattstunde.
·
Zweitens
muss der Ausstieg aus der Atomenergie ganz klar geplant werden, was
bis heute in der Schweiz nicht der Fall ist. Um ein Ungleichgewicht
auf dem Markt zu vermeiden, muss der Abbau bestehender Kapazitäten
mit dem Aufbau neuer koordiniert werden. Es braucht kein Logistik-
oder Logikstudium, um diese Notwendigkeit zu verstehen.
·
Drittens
müssen Netzbetreiber und dezentrale Stromerzeuger zusammenarbeiten
statt sich zu bekämpfen. Eine planbare und genügend hohe KEV, die
diesen Namen auch verdient, wäre sehr hilfreich. Dadurch müssten
dezentrale Stromproduzenten keine Tricks anwenden, um ihren Strom
mit Eigenverbrauch vor Ort zu rentabel zu machen. Und die
Netzbetreiber wären kooperationsbereit und würden ihre Kosten
nicht mehr grösstenteils auf feste Gebühren abwälzen.
·
Schliesslich
müssen viertens gewisse strukturelle Anreize geschaffen werden, um
den Speicherbedarf zu vermindern. Diese sollen helfen, die Wärme-
oder Kühllast bei hoher erneuerbarer Stromproduktion zu verlagern
oder die Erzeuger erneuerbarer Energien zum Bau von Anlagen zu
bewegen, die den Strom zum richtigen Zeitpunkt einspeisen. Der Markt
alleine kann ein solches Signal langfristig und zuverlässig nicht
geben, denn er ist durch externe Kosten und Finanzialisierung
verzerrt. Seine Preissignale sind viel zu schwankend und
kurzfristig, als dass sie langfristige Investitionen auslösen könnten.
Rundheraus
gesagt kann diese Entwicklung nicht vom Markt allein rationell
gesteuert werden. Denn der Markt kann eigentlich nicht viel mehr als
bestimmen, ob diese oder jene Maschine gerade läuft oder
stillsteht, weil der Betrieb Verluste einfahren würde. In einem
vollständig erneuerbaren System ist nur ein kleiner Teil der Kosten
diesem Markt unterworfen. Den weitaus grössten Kostenanteil machen
die Fixkosten für Amortisierung und Finanzierung der Anlagen, man könnte
von "Kosten zum überhaupt bestehen" sprechen. Diese
Kosten sind da, ob die Anlage nun in Betrieb ist oder nicht. Deshalb
ist es am logischsten, diese Anlagen solidarisch über ein
KEV-System zu finanzieren. Das bedeutet schlussendlich, dass auf
Ende der Übergangszeit die Stromrechnung zwei Posten aufweist:
einesteils spiegelt sie die zum Installationszeitpunkt der Anlagen
geltenden, oft tiefen, Grenzkosten wider, anderenteils beinhaltet
sie die KEV-Abgabe zur Finanzierung der Existenz des
Anlagenbestands.
Was
ich soeben beschrieben habe, ist das Szenario einer rationell geführten
Energiewende.
Leider
wissen wir alle, dass wir in der Praxis aufgrund des Widerstands
gewisser Netze, aber vor allem auch wegen einer mangelhaften Politik
weit von diesem Szenario entfernt sind. Die Höhe des KEV-Deckels
ist zu niedrig, wir kennen den genauen Zeitpunkt für die
Abschaltung der AKWs nicht und vorläufig ist der Eigenverbrauch ein
wirtschaftlich attraktives Modell, mangels Alternative.
Dazu
kommt eine wenig kooperationsbereite Haltung einzelner Netze. In
diesem Zusammenhang möchte ich als positives Gegenbeispiel den
Westschweizer Energieversorger Romande Energie nennen. Dieser hat
ein neues Kooperationsmodell eingeführt, um den Eigenverbrauch in
Mehrfamilienhäusern zu fördern. Dabei kommt das Netz zwar auf
seine Kosten, aber nicht viel mehr. Dieses System wird später von
Herrn Bétrisey vorgestellt.
Wir
sind also weit davon entfernt, die Richtung des rationellen
Szenarios einzuschlagen. Dennoch haben wir es bisher geschafft, das
völlig chaotische Szenario zu vermeiden, obschon immer noch viel
vom politischen Erfolg oder Scheitern der Energiestrategie 2050 abhängt.
Wir
stehen also am Scheideweg.
Kürzlich
habe ich mit einem in mehreren Verwaltungsräten sitzenden Akteur
der Realwirtschaft diskutiert. Er sagte, seine Hauptsorge sei, ob in
Zukunft eine kostengünstige einheimische Stromversorgung
sichergestellt werden könne. Daraus zog er den völlig unlogischen
Schluss, dass die Energiestrategie 2050 bekämpft werden müsse.
Warum dieser Gedankengang?
Er
vergleicht die heutige Situation, in der wir von der Substanz leben
– einer Substanz übrigens, die wir unter einem Monopolregime in
einem ganz anderen technischen und wirtschaftlichen Umfeld aufgebaut
haben –, mit der Zukunft und einer Energiestrategie, die neue
Investitionen erfordert und bei der die ohnehin anfallende
Erneuerung der Substanz mit dem Strompreis amortisiert werden muss.
Diese
für économiesuisse typischen politischen Widerstände
widerspiegeln eine unlogische Haltung, die uns zum chaotischen
Szenario führen wird. Im besten Fall bekommen diese Unternehmer
ihren Strom auf dem Importmarkt (wahrscheinlich Dreckstrom). Im
schlimmsten Fall kommt es zu Versorgungslücken, Preissprüngen und
einem Schweinezyklus-Effekt.
Bei
den Stromunternehmen, ob Betreiber oder Erzeuger, findet ein
Einstellungswandel statt. Für die Stromproduzenten ist die
Situation sehr schmerzhaft: Sie haben sich während der Stromblase
der 2000er-Jahre zu gross aufgestellt und leiden nun unter einer
schwächelnden Nachfrage und den technischen Veränderungen, die ich
bereits erwähnt habe. Wie so oft bei abrupten Wechseln gibt es
Haltungen, die mehr oder weniger konstruktiv sind. Wir anerkennen,
dass die zwei in einer schwierigen Lage befindlichen
Grossunternehmen BKW und Alpiq daran sind, zu einer politisch
konstruktiveren Haltung zu finden. Doch immer noch gibt es unermüdliche
Verteidiger der alten Zeiten, etwa die Axpo.
Was
folgt daraus für die politische Haltung von Swissolar und die
Unternehmensstrategie ihrer Mitglieder?
Für
Swissolar ist die Lage ziemlich klar: Der Verband muss sich für das
rationelle Szenario, also für die Steuerung durch die Politik
einsetzen – und die möglichen Partner davon überzeugen,
mitzuspielen. Dies gilt natürlich auf dem politischen Parkett, aber
Swissolar strebt auch praktische Allianzen wie jene mit Romande
Energie an, die ich bereits erwähnt habe. Um dies zu erreichen,
darf sich Swissolar nicht hinter einem alleingültigen Dogma
verstecken. Deshalb akzeptieren und unterstützen wir manche
politische Kompromisslösung, die zwar nicht optimal, aber in der
Praxis umsetzbar ist. Als typisches Beispiel dafür gilt die
Einmalvergütung, deren Logik sehr ungenügend ist, da sie zum
Eigenverbrauch zwingt. Dennoch ermöglicht sie konkrete Fortschritte
in der Praxis. Und natürlich streben wir auch die Zusammenarbeit
mit Elektrizitätswerken an, was nicht immer ganz einfach ist.
Ich
gebe es zu: Für Sie als Unternehmer, die vom Schweizer Solarmarkt
abhängig sind, ist die Lage komplizierter. Für die Jahre 2015 und
2016 stellen die geltenden Gesetze eine gewisse Vorhersehbarkeit
sicher. Wir haben die KEV-Kontingente, die zwar bescheiden und teils
bereits abgebaut sind, und die Einmalvergütung, die anscheinend gut
funktioniert. Zudem gibt es die kantonalen Beschlüsse im Rahmen der
MuKEn, die nicht nur für die Photovoltaik gut sind, sondern auch für
die Solarwärme. In dieser Hinsicht ist mein Heimatkanton Waadt in
seiner kantonalen Gesetzgebung, die schon in Kraft ist, bereits
einen Schritt weitergegangen.
Ab
2017 werden entscheidende Weichen gestellt:
1.
Alles
hängt von der Energiestrategie 2050 ab – und davon, ob sie
durchkommt, ohne vom Ständerat abgeschliffen zu werden. Wird sie
angenommen, bleibt der politische Rahmen bestehen und die
Entwicklung bleibt bis zu einem gewissen Grad rationell. Sie wird
zwar nicht ideal, doch immerhin gangbar sein. Andernfalls laufen wir
Gefahr, rasch in eine chaotische Situation zu geraten, in der
allerdings Technologieentwicklungen gewisse Chancen bieten.
2.
Der
zweite wichtige Faktor sind weitere Preissenkungen bei den
PV-Anlagen und Speicherbatterien, selbst wenn diese langsam
erfolgen. In diesem Fall wird der Eigenverbrauchsmarkt gestärkt,
selbst bei schwacher staatlicher Unterstützung. Die Bewegungen dürften
etwas unkoordiniert sein, doch die fehlende Rationalität lähmt die
bestehenden Elektrizitätswerke und Netzbetreiber noch mehr. Die
Entwicklung der erneuerbaren Energien und insbesondere der
Photovoltaik verlangsamt sich natürlich, doch dieses Szenario
bringt auch bestehenden Stromunternehmen nichts.
Wenn
ich Präsident des Verbands für Atomenergie und fossile Energieträger
wäre, könnte ich keine Zukunftsperspektiven aufzeigen, die
zwischen einem positiven, rationellen und einem chaotischen, unbeständigen
Szenario liegen. Ich müsste den Mitgliedern sagen: Ihr habt die
Wahl zwischen einem schrittweisen, geplanten Abbau, der Euch Zeit für
die Umstellung gibt, und einer völlig chaotischen, irrationalen
Marktlage, in der ihr sehr viel Geld verlieren werdet.
Sie
verstehen, dass ich viel lieber Swissolar-Präsident bin. Ich danke
Ihnen für Ihre unermüdliche Unterstützung, denn der Weg zur einer
vernünftigen und nachhaltigen Energieversorgung ist noch lang.
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