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Roger Nordmann

Conseiller national

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Rede anlässlich des Weltalphabetisiserungstag 8.9.2008 in Sargans (SG) im Rahmen des Lernfestivals

Roger Nordmann, Präsident des Schweizerischen Dachverbands Lesen und Schreiben

 

Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin

Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident

Lieber Gerry Hofstetter,

Liebe Anwesende,

Für Aussenstehende unerwartet, werden die Beziehungen zwischen den Kantonen Waadt und St. Gallen in den nächsten Zeiten recht intensiv werden: meine heutige Rede als Waadtländer Nationalrat in Sargans ist kein Einzelfall, denn in den nächsten Wochen ist der Kanton St. Gallen Gast am Comptoir Suisse in Lausanne, und dann die Waadt Gast an der Olma in St- Gallen. Damit wird es sicher ein ganzes Feuerwerk von Reden geben.

Wenn man es genau bedenkt, stellt dieses Redefeuer eigentlich einen ziemlichen Anachronismus dar. Denn wir leben in einer Welt, die von der Schriftsprache dominiert ist. Ein ganz klares Indiz dafür ist, dass die meisten Reden vorher geschrieben werden, und sofort danach auf dem Internet nachzulesen sind.

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie wichtig die Beherrschung der Schriftsprache ist. Bevor ich auf dieses Thema zurückkomme, möchte ich Ihnen den Schweizerischen Dachverband Lesen und Schreiben kurz präsentieren.

Der Schweizerische Dachverband Lesen und Schreiben und seine Sektionen haben sich grundsätzlich zwei Aufgaben auf ihre Fahnen geschrieben.

  • Die Erste Aufgabe ist ganz konkret: unsere Sektionen veranstalten Lese- und Schreibkurse für Erwachsene, die grosse Schwierigkeiten haben, sich mit der Schriftsprache durchzuschlagen. Jahr für Jahr besuchen etwa 2000 Erwachsene die Kurse unserer Sektionen. Damit Sie sich darunter etwas vorstellen können:  der typische Teilnehmer besucht unseren Kurs während 2 Jahren für 4 Stunden in der Woche. Und folgt dabei einem Programm, das jeweils eigens auf seine Bedürfnisse und Kompetenzlücken abgestimmt ist.

  • Die zweite Aufgabe des Dachverbandes Lesen und Schreiben besteht darin, zusätzliche Leute zum Besuch von Lese- und Schreibe Kursen zu motivieren. Und das ist nun überhaupt keine einfache Aufgabe, denn Illettrismus ist ein Tabuthema ohne Gleichen. Wer gibt schon zu, es trotz Schulbesuch nicht zu schaffen, am Automat ein Busbillet zu kaufen? Oder dass man ein Schulformular für den Schulbeginn seiner Tochter nicht ausfüllen kann? Ich nehme gerade dieses Beispiel, weil mein Sohn vor zwei Wochen die Schule begonnen hat, und ich aufgefordert wurde, im Schulzimmer ein einfaches Formular auszufüllen. Wie hätte ich dies gemacht, wenn ich die Schriftsprache nicht beherrschen würde?

Man könnte meinen, es gebe da einen Dachverband, der das Problem Illettrismus anpackt, und damit sei alles in Ordnung: Leider muss ich Sie enttäuschen: anpacken heisst bei weitem noch nicht lösen.

Der erste Grund ist ganz einfach quantitativ: es gibt in der Schweiz rund 800'000 erwachsene Menschen, die grosse Lese- und Schreibschwierigkeiten haben, wie verschiedene Studien gezeigt haben.  Nur gerade 2 Promille der Betroffenen besuchen unsere Kurse. Unsere Aktion ist also völlig ungenügend, bezogen auf die reale Grösse des Problems!

Der zweite Grund ist mehr qualitativer Natur: es braucht eine starke Sensibilisierungs-kampagne, um eine Enttabuisierung zu erreichen. Denn viele Blockaden sind in den Köpfen.

Natürlich bei den Betroffenen, die entweder ihre Schwierigkeiten nicht wahrnehmen wollen, oder die die Hoffnung ganz einfach aufgegeben haben.

Ihnen wollen wir heute die folgende Botschaft vermitteln:

JA, man kann lesen und schreiben wieder lernen.

JA, es gibt ein Angebot.

NEIN, es ist nicht wie in der Schule, die sie oft in schlechter Erinnerung haben, denn unsere Kurse sind auf ihre Bedürfnisse massgeschneidert.

JA, viele Kursteilnehmer schaffen den Wiedereinstieg in die Welt der Schrift.

Die Blockaden liegen aber auch im Unwissen aller potentiellen Vermittler: die Erfahrung zeigt, dass unsere Kursbesucher meistens von einer Drittperson aufgemuntert werden müssen, den Kurs zu besuchen. Das heisst, dass der Sozialarbeiter, die Personalchefin, die Arztgehilfin, die Lehrerin der Kinder oder der Schalterbeamte eine Vermittlungsfunktion übernehmen muss. Der Schluss daraus liegt auf der Hand: grosse Fortschritte wird es erst geben, wenn die potentiellen Vermittler das Problem überhaupt erkennen können und über das Kursangebot informiert sind. Dazu braucht es eine breit angelegte Sensibilisierungscampagne, denn schliesslich kann jeder einmal in diese Vermittlerrolle hineinrutschen.

Der heutige Tag ist in dieser Hinsicht ein Lichtblick: es findet eine breit angelegte Sensibilisierungsaktion statt, dank dem Bund, dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB, der Post und nicht zuletzt dank Gerry Hofstetter und allen Beteiligten.

Danke an alle.

Leider ist diese Aktion nur eine einmalige. Und gerade darin liegt der Haken: unsere Gesellschaft kümmert sich viel zu wenig um das Problem und es wird viel zuwenig gemacht.

Die Frage des Illettrismus, wie übrigens diejenige der übrigen Grundkompetenzen in Sachen Rechnen und Informationstechnologie, muss jetzt frontal angegangen werden. Dazu braucht es ein viel stärkeres Engagement von Bund, Kantonen und Gemeinden.

Dies aus drei Gründen:

1)     Erstens weil das Bescheidene, das jetzt gemacht wird, nur deshalb zu Stande kommt, weil die öffentliche Hand oder parastaatliche Institutionen wie die Lotteriefonds uns unterstützen. Klar helfen uns viele Freiwillige, die Zeit oder Geld spenden, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Aber ein massiver Ausbau ohne öffentliche Unterstützung ist letztlich eine reine Illusion

2)     Zweitens weil von der Wirtschaft kaum verlangt werden kann, die Nachholbildung für Grundkompetenzen zu finanzieren. Die Wirtschaft setzt verständlicherweise die Grundkompetenzen als gegeben voraus und konzentriert sich auf die daraufbauende Berufs- und Weiterbildung. 

3)     Drittens weil das Problem nicht nur eine individuelle Angelegenheit ist, oder bloss ein ökonomisches Problem darstellt, sondern die ganze Gesellschaft betrifft.

Illettrismus kostet zwar viel Geld, weil die Betroffenen Mühe haben, sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Ich kann ihnen sogar eine Zahl nennen, die vom Büro BASS errechnet wurde: 1,1 Milliarde Franken pro Jahr kostet der Illettrismus, und zwar nur für den Bereich der Arbeitslosigkeit.

Illettrismus ist aber auch ein Hindernis für das Staatsbürgertum: wie kann ich meine staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wahrnehmen, wenn ich nicht lesen kann?

Illettrismus ist ein Hindernis an der gesellschaftlichen und kulturellen Beteiligung: ganz praktisch, wie kann ich ein SMS schicken, wenn ich nicht schreiben kann?

Illettrismus ist ein Hindernis für die Gesundheitsprävention, denn Information ist das Fundament eines gesunden Lebens.

Illettrismus ist schliesslich ein Phänomen, das generationenübergreifend ist und die Chancengleichheit fundamental unterminiert: wie kann ich meinem Kind bei den Hausaufgaben helfen, wenn ich selber nicht genügend schreiben oder rechen kann?

Um es in einem Wort zu sagen: Illettrismus untergräbt die Menschenwürde.

Damit komme ich zum Schluss:

Die Politik muss dem Thema viel mehr Aufmerksamkeit und Mittel schenken. Es braucht eine breit angelegte Sensibilisierungskampagne, wie man sie zu anderen Themen wie Rauchen, Aids, Gewalt, Berufsbildung, Energiesparen, Übergewicht oder Drogen macht. Und das Kursangebot muss gestärkt werden.

Unser Dachverband versucht mit allen Kräften, vorwärts zu kommen, sowohl mit den bestehenden Möglichkeiten als auch mit der Unterstützung eines künftigen eidgenössischen Weiterbildungsgesetzes. Und ich hoffe, dass Sie alle uns dabei nach Kräften unterstützen werden.

Danke für Ihren Einsatz und Ihre Aufmerksamkeit, geniessen Sie die folgenden Lichtblicke!

 

 

www.roger-nordmann.ch 8.9.08

 

 

 

  

 

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Contact: Roger Nordmann, Rue de l'Ale 25, 1003 Lausanne,
info@roger-nordmann.ch, tél 021 351 31 05, fax 021 351 35 41

Twitter @NordmannRoger

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1.04.2017