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Artikel "Lesen und Glauben" 25.8.2010 Atomenergie: Wer bezahlt den GAU? Jeder Autofahrer muss eine Haftpflichtversicherung abschliessen, damit allfällige Schäden gedeckt sind. Für Betreiber von Atomkraftwerken gilt dieser Grundsatz jedoch nicht. Hier ist die gesetzliche Haftpflicht auf 300 Millionen Franken beschränkt, und gegen einen bescheidenen Beitrag seitens der Betreiber bietet der Bund eine zusätzliche Deckung von einer Milliarde. Die Gesamtdeckung von 1,3 Milliarden Franken ist jedoch lächerlich, wenn man die Folgen eines schweren Atomunfalls betrachtet. Kime es zu einer dauerhaften Verstrahlung von Wohngebieten, würden sich die materiellen Schäden schnell einmal auf Hunderte von Milliarden belaufen. Man braucht sich nur vorzustellen, welche Kosten es nach sich ziehen würde, wenn das Gebiet um das AKW Mühleberg in einem Umkreis von 50 Kilometern dauerhaft unbewohnbar würde. Alle Gebäude, die gesamte Infrastruktur und der ganze Wirtschaftsraum müssten anderswo wieder errichtet werden. Auch die gesundheitlichen Kosten sowie Einkommensausfälle wegen Arbeitsunfähigkeit oder Tod wären dazuzurechnen. Und wohlverstanden: In dieser Rechnung ist das Leid, das chronische Krankheiten und Tod verursachen, nicht inbegriffen, denn das lässt sich ja nicht mit Zahlen messen oder mit materiellen Werten abgelten. Daran zeigt sich auch, dass die Frage nach dem verantwortbaren Atomrisiko letztlich eine gesellschaftspolitische Bedeutung hat. Auch die allergrösste Katastrophe muss noch irgendwie zu bewältigen sein. Das Beispiel Tschernobyl zeigt klar, dass die Atomenergie hier ein Problem hat. Ich persönlich stehe auch aus anderen Gründen der Atomenergie sehr kritisch gegenüber: Einerseits können wir Menschen mit einer Lebenserwartung von 85 Jahren die Frage der Abfalllagerung gar nie dauerhaft lösen. Unbrauchbar gewordene Brennelemente bleiben ja für Jahrtausende radioaktiv. Andererseits ist Uran nur beschränkt verfügbar: Atomspaltung hilft uns also nicht, den Energiemangel angesichts der Erschöpfung von fossilen Energiequellen zu überwinden. Sie lenkt nur von der Notwendigkeit ab, dass wir mit Energie sparsamer und effizienter umgehen und auf erneuerbare Energie setzen müssen. Die Beschränkung der Versicherungspflicht auf diesem lächerlich niedrigen Niveau hat in der Praxis zwei unheilvolle Konsequenzen: Bei einem schweren Unfall müsste der Schaden durch den Staat resp. die Steuerzahler gedeckt werden, wahrend der Betreiber mit dem Konkurs davonkäme. In groben Zügen wäre dies das Szenario der Swissair in viel grösseren Dimensionen. Da die Versicherungsprämien in den realen Kosten der Produktion von Atomenergie nicht enthalten sind, wird der Preis einer Kilowattstunde Atomstrom künstlich tief gehalten. Das ist unlauterer Wettbewerb gegenüber den erneuerbaren Energien und kommt einer völlig ungerechtfertigten Subventionierung der Atomenergie gleich. Die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung ohne Deckungslimite oder wenigstens mit einer Limite, die im Bereich des potenziellen Schadensbetrags liegt, ist absolut zwingend. Sie würde zur sofortigen Stilllegung der ältesten und gefährlichsten AKWs führen, weil kein Versicherer bereit wäre, ein solches Risiko zu übernehmen. Ausserdem würde dadurch aufgedeckt, dass der von neuen AKWs erzeugte Strom viel teurer ist, als die Verfechter der Atomenergie es behaupten. Deshalb bekämpfen sie ja auch die Kostentransparenz und versuchen so, den endgültigen Durchbruch der erneuerbaren Energie zu verhindern. Lesen und Glauben 25.8.06
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Contact: Roger Nordmann, Rue de l'Ale 25, 1003 Lausanne, Twitter @NordmannRoger 1.04.2017 |